Mittwoch, 30. Januar 2008

Buchtipp: Spiele der Erwachsenen (Eric Berne)

Eric Berne begann seine Laufbahn als Psychotherapeut basierend auf der damals dominierenden psychoanalytischen Lehre von Sigmund Freud. Während seiner Arbeit stellte er fest, dass die Diagnose psycho-pathologischer Probleme und die "vorgeschriebene" Korrektur der Patienten durch den Psychotherapeuten stillschweigend voraussetzte, dass der Therapeut "richtig" dachte und handelte, während der Patient "krank" war und daher Gedanken und Handlungen korrigiert werden mussten. Das griff ihm zu kurz, er fing daher an, seine Intuition zu benutzen, um sich in die Menschen, die er behandelte, hineinzuversetzen. Er beobachtete die Menschen und entdeckte verschiedene menschliche "Ich-Zustände" und die Bedeutung von Streicheleinheiten, Zeitvertreib, Spielen. Aus diesen Erkenntnissen erwuchs die viel beachtete Transaktionsanalyse, als deren Begründer Berne heute gilt.

In seinem 1964 unter dem Titel "Games People Play" erschienenen Buch zeigt Berne auf manchmal amüsante aber immer fundierte Weise, dass wir alle mehr oder minder häufig Spiele miteinander spielen. Der Unterschied zwischen Kinder- und Erwachsenen besteht dabei nur in der Art und regeln der Spiele. Ein Spiel besteht nach Berne aus einer fortlaufenden Folge verdeckter sogenannter Komplementär-Transaktionen (eine Transaktion ist die Grundeinheit einer sozialen Verbindung), die zu einem voraussagbaren Ergebnis führen. Die Transaktionen wiederholen sich und sind dabei äußerlich scheinbar plausibel (oberflächliche Transaktion), werden in Wahrheit aber von verborgenen Motiven beherrscht (verdeckte Transaktion).

Wie kommt es, dass erwachsene Menschen forlaufend "Spielchen miteinander spielen"? Der Grund lässt sich zurückverfolgen auf physische und psychische Bedürfnisse, die bereits als Kleinkind vorhanden sind. Kinder, die über einen längeren Zeitraum keine Zuwendung erhalten, verkümmern physisch und psychisch an "Reiz-Hunger". Da physische Zuwendungen während des Erwachsenwerdens seltener werden, wandelt sich der physische Hunger nach "Streicheleinheiten" in einen "Hunger nach Anerkennung" und später in einen "Struktur-Hunger", in dem sich das Bedürfnis nach Vermeidung von Langeweile ausdrückt. Wie wichtig dieser Hunger nach Struktur und Anerkennung werden kann, zeigt sich besonders schnell, wenn vorher als gegeben angesehene Strukturen verloren gehen, z. B. durch plötzliche Arbeitslosigkeit.

Durch die Erziehung der Eltern lernt ein Kind, welche Spiele es spielen und wie es sie spielen soll. Das Ausmaß, in dem es sich in Verfahren, Ritualen und Zeitvertreib auskennt, und die Geschicklichkeit im Umgang damit, haben entscheidenden Einfluss darauf, welche Möglichkeiten sich ihm in Zukunft erschließen werden und wie es diese Möglichkeiten nutzen wird. Sobald sich feste Reiz-Reaktionsmuster etabliert haben, verlieren sich die Ursprünge, aber der "Kindheits-Prototyp" für ein Spiel des Erwachsenen lässt sich zurückverfolgen.

Rituale bestehen aus einer stereotypen Folge von einfachen Komplementär-Transaktionen, die durch äußere Sozialfaktoren programmiert worden sind. Typisches Beispiel sind ritualisierte Begrüßungsregeln, die meist nicht dazu bestimmt sind, wertvolle Informationen zu vermitteln, sondern dem Gegenüber die Streicheleinheiten (das ist nicht ironisch gemeint!) zukommen zu lassen die er verdient, ausgedrückt in der Anzahl der wechselseitigen Dialoge. Jedes Abweichen von der akzeptierten Norm wird als "merkwürdig" empfunden - bekommt man plötzlich mehr oder weniger Aufmerksamkeit als man erwartet, "stimmt etwas nicht". Das einfachste und sicherste Mittel, zum "komischen Kauz" zu werden, besteht darin, grußlos an guten Freunden vorüberzugehen und Unbekannte zu mit überschwänglicher Aufmerksamkeit zu willkommen zu heißen.

Ausgehend von Höflichkeits- und Kennenlern-Riten entstehen allmählich verschiedenene individuelle "Episoden", die sich an oberflächlich unsichtbaren Strukturen orientieren. Spiele sind Episodenfolgen, die auf individueller Programmierung basieren, und ein Großteil der Sozialaktivität besteht darin, bestimmte Spiele zu spielen. Ein Spiel ist dabei nicht nur als Vergnügen zu verstehen, es kann bitterernst sein und wird trotzdem von der Gesellschaft toleriert, solange die Regeln beachtet werden. Der Nutzeffekt eines Spiels besteht in der stabilisierenden Funktion, die es für die Beziehung und die Menschen hat.

Berne beobachtete in Psychotherapiegruppen Veränderungen in der Verhaltensstruktur und ihren Beziehungen zur Gemütslage und seelischen Verfassung. Aus den Ergebnissen schloss er, dass jedem Individuum eine begrenzte Anzahl "psychologischer Realitäten" zur Verfügung stehen, die er als

  • "Eltern-Ich" (übernommen von den Ich-Zuständen seiner Eltern, automatische Reaktion "Das macht man so!" spart enorm Zeit),

  • "Erwachsenen-Ich" (objektive Informationsübermittlung, Analytik, Nutzung der Überlebenschancen) und

  • "Kind-Ich" (fixierte Relikte aus der Kindheit, Quell von Intuition, Kreativität, spontaner Antriebskraft und Freude)

bezeichnete. Komplementäre Transaktionen finden statt, wenn A aus dem Eltern-Ich das Kind-Ich von B anspricht und B aus dem Kind-Ich antwortet, z. B. "Na klasse, schon wieder hast du deinen Schlüssel verlegt!" - "Na und, dafür hast du gestern den Herd angelassen!"

Kommunikation wird unterbrochen wenn es zu einer Überkreuz-Transaktion kommt, wenn also eine Ansprache aus dem Erwachsenen-Ich ("Findest du deinen Schlüssel nicht?") aus dem Kind-Ich beantwortet wird ("Jetzt habe ich also wieder die Schuld, ja?"), hier müssen sich die Vektoren erst wieder abstimmen, bevor weiter kommuniziert werden kann.

Komplexer sind die verdeckten Transaktionen (Komplementär-Transaktion aus dem Erwachsenen-Ich auf der Sozial-Ebene, psychologische Kommunikation zwischen anderen Ebenen (z. B. auf der Kind-Ich-Ebene bei einem Flirt, der oberflächlich ein sachliches Gespräch darstellt), die Ausgangspunkt und wesentliche Voraussetzung für Spiele sind.

Das Mitspielen laufender Spiele ist eine wesentliche Voraussetzung zur Anerkennung und Aufnahme in bestehende Gruppen. Das kann sehr leicht auf gesellschaftlichen Zusammenkünften wie Partys beobachtet werden - wer sich einer Gruppe anschließen möchte, muss zuerst das dort laufende Spiel verstehen und zeigen, dass er ein würdiger Teilnehmer ist, bevor er ein neues Spiel beginnen darf. Auf diese Weise erfolgt ebenfalls die Selektion von Bekanntschaften - wer die passenden Spiele spielt, "passt zu mir".

Die "Antithese" zu einem Spiel besteht zum einen darin, sich der Rolle darin zu verweigern. Allerdings darf man dafür nicht mit Verständnis rechnen - da selbst die "Verlierer" ihre Stabilität aus ihrer Rolle im Spiel ziehen können, ist eine allseitige starke Gegenreaktion (z. B. sofortiger demonstrativer Ausschluss aus einem Gruppengespräch) wahrscheinlich. Eine noch stärkere Intervention bewirkt ein Verhalten, das der Erwartung an einer Rolle genau entgegengesetzt verläuft (vgl. hierzu Lösungen).

Berne führt im Buch ein "Spiel-Brevier" mit einer umfangreichen Spiele-Auflistung aus, auf das hier nicht weiter eingangen werden soll. Ein Beispiel ist das auf der Doppelbindung basierende Spiel "Zwickmühle", das Eltern mit ihren Kindern "spielen", indem sie sie auf der einen Seite dazu anhalten, alle möglichen Dinge im Haushalt zu übernehmen, und dann fortgesetzt an jeder Handlung und jedem Ergebnis etwas auszusetzen haben. Aus diesem Spiel gibt es keinen offensichtlichen Ausweg - tut das Kind wie ihm geheißen, ist es falsch, tut es das nicht, auch. Das Spiel-Brevier nennt zum Abschluss auch einige positive Spiele - positiv deshalb, weil beide Transaktionspartner vom Spiel profitieren und kein "Verlierer" dabei entsteht; z. B. bei einem erwünschten Flirt, den beide genießen.

Das Spiel-Brevier ist für mich der einzige Anlass zur Kritik am Buch. Die Situationen scheinen allesamt aus Bernes privater und klinischer Erfahrung zu stammen, für eine "vollständige" Auflistung und Kategorisierung wären wohl weitere Studien und Meinungen notwendig.

Doch wie sieht der Ausweg aus dem endlosen Kreislauf von Spielen und festgefahrenen Reiz-Reaktions-Mustern aus? Sind wird bis zu unserem Tod in unseren Spielen gefangen, schlicht um unser Leben möglichst im Gleichgewicht zu behalten? Es gibt laut Berne einen alternativen Weg: Bewusstheit als Gegensatz zu systematischem Verhalten, Spontaneität als Gegenpol zur Programmierung der Vergangenheit, und "Intimerlebnisse" (verstanden als echte Zuneigung und Austausch mit Menschen ohne verdeckte Absichten) als Gegenpol zu Spielen.

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Buchtipp:

Spiele der Erwachsenen

Freitag, 25. Januar 2008

Einige Thesen zur Entwicklung des Enterprise Content Management (ECM)

OpenText, IBM/Filenet, EMC und Oracle haben sich gut positioniert und bleiben die Platzhirsche für große ECM Plattformen. SAP ist zurzeit noch eine große Unbekannte.

Open Source wird im gesamten IT-Markt zunehmend wichtiger. Alfresco hat es geschafft, den Schwung der Open Source Welle zu nutzen und als weiterer Spieler in den Markt einzutreten. Bei Erfolg ein idealer Übernahmekandidat.

Microsoft hat mit MOSS zwar kein "echtes" ECM-System, erobert aber durch die bereits vorhandene Präsenz in vielen Unternehmen den ECM-Massenmarkt. MOSS hat einen starken "Pull"-Effekt, denn Fachabteilungen möchten damit unabhängig von einer von oben diktierten und über einen Kamm geschorenen Unternehmensstrategie ihre Arbeitsabläufe mit Content Management und Collaboration dezentral unterstützen.

Das Thema ECM (in unterschiedlichen Namen und Akronymen) ist "gereift", die meisten großen Unternehmen haben bereits ein ECM oder zumindest die Grundlage für Content Management geschaffen. Auch der Mittelstandsmarkt ist durch die Penetration günstiger und dabei vollständiger Lösungen wie "EasyDMS" bereits gut versorgt. Echtes Neukundengeschäft wird für die Anbieter nur noch in den nicht versorgten Teilen des Mittelstands und der Kleinunternehmen bis hin zu Privatleuten zu machen sein. In diesem bisher wenig beachteten Massenmarkt ist eine Infrastrukturlösung schlecht zu verkaufen, daher wird ECM als SaaS-Lösung langfristig eine interessante Alternative bieten. Zusammen mit der Open Source Bewegung drückt das auf die Preise.

Zwei Bewegungen sind dafür verantwortlich, dass die Grenzen zwischen ECM und angrenzenden Bereichen verwischen: Zum einen emanzipieren sich aufwändig integrierte Komponenten wie z. B. Capturing bereits wieder als eigenständige Lösungen (z. B. Posteingang), zum anderen integrieren immer mehr Produkte ECM-typische Funktionalität (z. B. MS Vista oder Speichersystemanbieter). ECM wird "in die Zange genommen".

Die Folge: ECM wird "Commodity" und als "Content-Infrastruktur" in den nächsten Jahren Teil des Informationsmanagements werden. Content wird allgemeiner zu einem Informationsobjekt, Speichern und Wiederfinden von Informationen erfolgt direkt in den Standard-Applikationen des Anwenders, z. B. im ERP System. Der wahre Mehrwert von Inhalten liegt darin, dass sie in den dazugehörigen Geschäftsprozessen zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung stehen, um so produktiver zu sein, besseren Kundenservice zu bieten und Kosten zu senken.

Lösungen zu Themen wie Records Management, Posteingang, Wissensmanagement, Business Process Management und spezielle Branchenlösungen bieten immer noch einiges ungenutztes Potenzial. Besonders die kleinen Anbieter müssen zunehmend ihre Positionierung über einen besonderen Mehrwert gegenüber anderen erkämpfen. Im Fokus ist dabei aber nicht mehr das Content-Management-System, sondern der objektiv bewertbare Nutzen einer Lösung, sei es durch Vermeidung negativer Folgen (Stichwort Compliance), Prozessverkürzungen etc. Konkurrenz findet (noch) um den Projektfokus statt - geht es bei einem Prozessoptimierungsprojekt für einen Doumentfreigabeworkflow mehr um ECM mit angeschlossener BPM-Engine oder ist das ein BPM Projekt, in dem Dokumente die Informationsobjekte sind? ECM Anbieter werden weiter darum kämpfen, dass der Content das zentrale Objekt ist, sich aber langfristig als Infrastruktur für die Prozessunterstützung positionieren müssen.

IT-Verantwortliche haben schmerzlich feststellen müssen, dass der Wildwuchs der Plattformen zu enormen Folgekosten führen kann, daher wird das Thema Konsolidierung und Standards zunehmend wichtiger. SOA-Architekturen könnten eine Hilfe sein, scheitern aber häufig noch an der erforderlichen unternehmensweiten Ausrichtung. Die Finanzierbarkeit ist dabei einer der Aspekte, weil Fachabteilungen vor dem Hintergrund des nicht unmittelbar einsichtigen Nutzens zögern. Vernetzte, auf Services ausgerichtete Architekturen werden aber die ursprünglich monolithische IT-Struktur in jedem Fall aufbrechen und ablösen.

Donnerstag, 24. Januar 2008

Buchtipp "Lösungen - zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels" (Watzlawick / Weakland / Fisch)

Jeder muss beruflich oder privat Lösungen zur Veränderung einer Situation herbeiführen, sei es als Projektmanager oder als "Helfer" für einen guten Freund. Was bedeutet aber eigentlich Wandel und Veränderung? Gibt es DEN Wandel? Welche Mechanismen werden von Menschen zur Problemlösung angewendet, gibt es ein Standardvorgehen? Und warum führen manche Lösungsversuche scheinbar erst wirkliche Probleme herbei statt sie zu lösen?

Das sind Fragen, denen die Palo Alto Forschungsgruppe um Paul Watzlawick nachgegangen ist. Aus theoretischen Grundlagen und klinischer Praxis haben sie mit Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels ein Werk erstellt, das Einblick in grundlegende Mechanismen von Problemlösung und Veränderung gibt. Vor allem wird erklärt, warum manche Lösungen zielsicher in einen Teufelskreis führen, während andere scheinbar "verrückte" und "unlogische" Vorgehensweisen das zugrunde liegende Problem auf magische Weise verschwinden lassen. Die Analyse und Unterscheidung der Arten des Wandels und besonders die Bedeutung und Herbeiführung des sog. "Wandels 2. Ordnung" sind Kernthemen des Buches.

Das Buch möchte trotz des etwas unsanften Starts mit der Gruppentheorie (der zwar interessante Parallelen zum mathematischen Konstrukt aufzeigt, zum Verständnis aber nicht unbedingt notwendig ist) kein trockenes Lehrbuch sein. Im Gegensatz zur verbreiteten "Ratgeberliteratur" sind die Autoren weltweit anerkannte Wissenschaftler und erreichen trotzdem eine flüssige Lesbarkeit auch für den Laien über lockere Geschichten, Anmerkungen und einen größtenteils bodenständigen Schreibstil. Unglücklicherweise leidet die Übersichtlichkeit etwas - man verliert ab und zu den Faden und fragt sich, in welchem Zusammenhang die aktuellen Aussagen eigentlich stehen sollen, manche Dinge werden wiederholt etc. Obwohl das Buch einfacher zu verstehen ist als das ebenfalls populäre Werk Menschliche Kommunikation, empfiehlt sich für echtes Verständnis ein zweimaliges Lesen - eben keine Standard-Ratgeberliteratur.

Die folgende Zusammenfassung soll das Verständnis unterstützen, indem die wesentlichen Aussagen extrahiert, sortiert und konzentriert dargestellt werden.

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I) Arten von Veränderung

Die Gruppierung der Elemente der Umwelt ist notwendige Voraussetzung für ihre Erfahrung, denn das Ordnen der Welt erzeugt Strukturen, wo sonst Chaos herrschen würde. Grundlage einer Gruppe bildet der Begriff der Menge (auch System genannt), die allgemein aus Elementen zusammengesetzt ist, deren Wesen nicht relevant ist.

Es liegt eine Gruppe vor, wenn

  • jede Kombination eines Elements mit einem anderen Element aus der Gruppe wieder ein Element der Gruppe ergibt => beliebige Veränderungen finden innerhalb der Gruppe statt, aber kein Element kann sich außerhalb stellen

  • die Elemente in beliebiger Reihenfolge gruppiert werden können und das Resultat immer dasselbe bleibt (Assoziativität innerhalb der Gruppe, z. B. Kreisförmigkeit der Kommunikation)

  • die Gruppe ein sog. "neutrales Element" enthält, dessen Kombination mit jedem anderen Element dieses andere unverändert lässt => aktiver Faktor, der trotzdem keine Veränderung herbeiführt

  • die Gruppe ein sog. "inverses Element" enthält, dessen Kombination mit jedem anderen Element das neutrale Element ergibt(vgl. später "gegensteuern" und "mehr desselben")

Auch in der logischen Typenlehre werden die einzelnen Elemente, die eine bestimmte Eigenschaft als gemeinsamen Nenner haben, zu Ganzheiten zusammengesetzt, die hier Mengen oder auch Klassen heißen. Ein Element ist damit ungleich seiner Klasse, und eine Klasse kann sich nicht selbst als Element enthalten - diese Vermischung der logischen Hierarchien führt in der Praxis zu Paradoxien und unbeabsichtigten Folgen wie später noch gezeigt wird. Beispiele: Über Sprache an sich kann eigentlich nur in einer Metasprache gesprochen werden oder Gödels Unentscheidbarkeitstheorem.

Daraus lassen sich zwei grundsätzlich mögliche Formen des Wandels / der Veränderung ableiten:

  1. Wandel erster Ordnung: Wechsel von einem Zustand in den anderen, das System bleibt invariant
  2. Wandel zweiter Ordnung: Das System selbst wird geändert.

Besonders der Wandel zweiter Ordnung ist von größter theoretischer und praktischer Bedeutung. Er erfordert eine außerordentliche und häufig unlogisch oder sogar paradox erscheinende Verschiebung, einen Sprung, etwas Unwillkürliches und Unbegreifliches, eine plötzliche Erleuchtung, eine Diskontinuität, die in den Begriffen des Systems selbst nicht zu fassen ist und daher von "außerhalb" der Systemgrenzen kommen muss. Daher muten Veränderungen zweiter Ordnung häufig "rätselhaft" und überraschend an. Die Wahl eines Systems und damit Akzeptanz der Systemgrenzen ist dabei willkürlich und kann jederzeit genauso willkürlich wieder geändert werden (siehe später "Umdeuten").

Wird der wichtige Unterschied dieser beiden Formen des Wandels außer Acht gelassen, führt das zum einen zu Schein-Lösungen, die die gewünschte Änderung nicht herbeiführen, zum anderen wird das zu lösende Problem paradoxerweise vollends unlösbar gemacht.

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II Mehr vs. weniger desselben

Unsere subjektive (und damit einzig wirkliche) Erfahrung der Welt setzt sich aus Gegensatzpaaren zusammen, d. h. jeder Aspekt hat nur Substanz relativ zu seinem Gegenteil (z. B. Licht und Dunkel).

Typischer Anlass für eine Veränderung ist das Eintreten einer Abweichung von einer bestimmten Norm. Um die Norm wieder herzustellen, muss gegengesteuert werden, und solange das Gegensteuern noch nicht den gewünschten neutralisierenden Effekt bewirkt hat, muss es weiter intensiviert werden. Gegensteuern wird meist völlig automatisch ausgelöst und beruht auf dem "gesunden Menschenverstand". Es wird stillschweigend angenommen, dass "mehr desselben" getan werden muss, solange die Lösung nicht erreicht ist.

In unzähligen Fällen stellt diese Art von Veränderung eine befriedigende Lösung her, das System kann unverändert bleiben. Was aber wenn das Gegensteuern gar keine Lösung herbeiführt, sondern im Extremfall das Problem sogar noch verschärft? Am Ende wird die versuchte Lösung dann selbst zum Problem, ohne sie bestünde das Problem evtl. gar nicht mehr. Solche "absurden" Lösungsversuche sind bei weitem häufiger als man annehmen könnte, da sie meist auf dem "gesunden Menschenverstand" beruhen. Sie äußern sich im Entstehen des gemeinhin bekannten "Teufelskreises".

Ein Beispiel ist der Versuch, die Kontrolle der Mitarbeiter zu verschärfen, weil man annehmen kann, dass der eine oder andere nicht vollen Einsatz bringt (was durchaus wahr sein kann). Die Reaktion wird sein, dass die Mitarbeiter sich nun drangsaliert und als "nicht vertrauenswürdig abgestempelt" fühlen und sich durch allerlei Tricks ihre Freiräume zurückholen möchten. Die Geschäftsleitung stellt fest: "Aha! Da haben wir's schwarz auf weiß! Es wird getrickst!" und verschärft nochmal die Kontrollen, um "Faulheit und Chaos" Einhalt zu gebieten. Wie die Mitarbeiter darauf reagieren ist jetzt klar. Alle Beteiligten wähnen sich dabei im Recht und "reagieren nur auf die Handlungen der anderen" - und liegen damit noch nicht einmal falsch. Solange der Teufelskreis nicht durch "Heraustreten" gebrochen wird, eskaliert die Spirale immer weiter bis die Auswirkungen der Kontrollen um ein Vielfaches schlimmer sind als die Faulenzer, die mittlerweile auch einen Weg gefunden haben, die Kontrollen auszutricksen. Hier wird auch klar, wie bedeutungslos die Suche nach Ursachen für eine Lösung ist.

Ein weiteres Beispiel ist ein Segelboot, bei dem der eine Partner sich weit über Bord hängt, weil er das Boot im Gleichgewicht halten möchte. Der andere auf der anderen Seite wird nun gezwungen, sich seinerseits weiter hinauszulehnen, damit das Gleichgewicht erhalten bleibt usw. Eine Lösung kann erst entstehen, wenn ein Partner aus dem System heraustritt und "weniger desselben" praktiziert.

Diese Erkenntnis gilt analog für jede Art von wechselseitigen Eskalationen, die sich in einem "Spiel ohne Ende" äußern (vgl. Spiele der Erwachsenen). Ein verbreitetes Beispiel dafür ist das von Eric Berne beschriebene "Warum nicht? Ja aber .." Spiel. Jemand berichtet von einem Problem und wird mit einem guten Ratschlag bedacht, worauf er "mehr desselben" vorbringt (also Gründe warum genau dieser Ratschlag ihm nicht helfen wird, er doch aber dringend auf Hilfe angewiesen ist). Meist reagiert der "Helfer" dann ebenfalls mit "mehr desselben" (also mehr Ratschlägen). Das Spiel ohne Ende ist in vollem Gang und lässt sich nur mit einem scheinbar paradoxen "weniger desselben" auflösen, also z. B. "Warum sollte man das lösen?" oder "nein, ich glaube nicht dass sich das lösen lässt ... auch X wird dir nicht helfen ... sei lieber nicht zu optimistisch."

Gleiches gilt für Probleme im Umgang mit Heranwachsenden. Während ein Achtjähriger sich noch durch "Du wirst schon sehen was du davon hast .. !!" beeinflussen lässt, verpufft diese Drohung beim Vierzehnjährigen. Die Umstände haben sich geändert, dadurch wird die Lösung wirkungslos. Ein "mehr desselben" (mehr Aufmerksamkeit, Drohungen, Regeln etc.) bewirkt ein "mehr derselben" Auflehnung. Einzig das scheinbar unmögliche "Aufgeben" der immer strikteren Dominanz (=> weniger desselben) nimmt die Angriffsfläche und kann eine Lösung einleiten.

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III Typen problemerzeugender Lösungsversuche

1. Eine Lösung ist notwendig, wird aber nicht versucht, weil die Wirklichkeit vereinfacht und das Bestehen der Schwierigkeit geleugnet wird (sich so verhalten als bestünden die Schwierigkeiten nicht => Wirklichkeitsverzerrung)

Beispiele: Familienmythus (stillschweigende Übereinkunft, die nicht angesprochen werden darf), Wahlversprechen (Simplifizierung) oder neurotische Verhaltensweisen, die dieselbe "bewährte" Lösung trotz Änderung der Umstände weiter anwenden.

2. Es wird versucht, etwas Unlösbares zu lösen (Utopie)
Im Fall der Utopie wird im Gegensatz zur Vereinfachung die Schwierigkeit eingestanden, aber die Lösung ist eine unmögliche (utopische). Drei Varianten sind möglich:

  • Konflikt im Menschen (introjektiv), "Ziel ist unerreichbar weil ich unzulänglich bin, mein Leben sollte toll sein" => Entfremdung, Depression, Flucht in Drogen und gleichzeitig steigende Verlustangst
  • Nicht wirklich in einer Lösung ankommen wollen => "Im Leben gibt es zwei Tragödien. Die eine ist die Nichterfüllung eines Herzenswunsches. Die andere ist seine Erfüllung." (Shaw)
  • Projektiv => Weltverbesserer ("mein Ziel: eine Welt ohne Probleme")

Gemeinsamkeit aller Varianten ist, dass die Prämissen als eigentliche Wirklichkeit akzeptiert werden. Wenn die Lösung scheitert, wird das nicht den falschen Prämissen angelastet, sondern sich selbst oder der Umwelt. Mehr desselben soll dann endlich die Lösung liefern (mehr Geld, mehr Zeit, mehr Ressourcen ... ).

Weiteres bekanntes Beispiel: Der Betrunkene, der seinen Schlüssel nicht dort sucht, wo er ihn verloren hat, sondern unter eine Straßenlampe, weil es dort heller ist => die Lösung wird zum (Pseudo-)Problem. In der Praxis ist es aber schwierig, zwischen dem "echten" Problem und einem Pseudoproblemen zu unterscheiden.

3. Eine Lösung wird auf der falschen Abstraktionsstufe angestrebt (Lösung erster Ordnung wo zweite Ordnung notwendig und umgekehrt). Beispiele:

Forderung nach paradoxer "geplanter Spontaneität", z. B. "sei spontan!", "ich will dass du abwaschen willst", "du sollst lernen wollen", "ich will schlafen". Wichtiger Aspekt daran ist, dass es nicht genügt, etwas nur zu machen weil es gefordert ist, sondern man soll es selbst auch wollen (Schule hat Spaß zu machen, Kinder haben fröhlich zu sein, ein Diktator muss geliebt werden usw.)

"Quid pro quo" in einer Beziehung oder Ehe (stillschweigende Übereinkünfte, "sei dieses für mich und ich werde jenes für dich sein"). Konflikte treten auf weil z. B. der selbst gesetzte Rahmen anachronistisch wird, Konfliktlösungen werden aber trotzdem immer nur innerhalb des Rahmens versucht. Die Veränderung muss sich auf die Vereinbarungen selbst beziehen und damit eine Lösung 2. Ordnung sein.

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IV Lösungen zweiter Ordnung

Sowohl in der Psychologie wie auch dem "gesunden Menschenverstand" ist die Meinung verbreitet, dass die Entdeckung des "warum" Vorbedingung für den Wandel ist. Das ist ein Irrtum - die Einsicht kann zur (durchaus interessanten) Erklärung von Symptomen führen, zur Lösung des Problems ist aber ein "Heraustreten" aus dem System nötig, für das die Problemursachen irrelevant sind. Das Problem ist daher im "hier und jetzt" umfassend zu verstehen und zu lösen.

Der Betroffene unterliegt typischerweise durch das für Menschen als "normal" angesehene Denken in Gegensatzpaaren einer Illusion der Alternativen, er kann nur "X tun" oder "X nicht tun". Egal aber wie er sich entscheidet, er bleibt in seinem Dilemma wie in einem Teufelskreis gefangen (vgl. auch Doppelbindung). In einer solchen paradoxen Situation kann die Lösung in der Einführung einer Gegenparadoxie bestehen, die die Gegensatzpaare auflöst. Eine Lösung 2. Ordnung bedeutet dann weder "X" noch "nicht-X".

Beispiel: Angst vor bestimmten Situationen (z. B. vor Kaufhäusern, Reden vor Publikum, schlechtem Feedback vom Chef u. Ä.) wird dem gesunden Menschenverstand nach dadurch gelöst, dass man "sich zusammennimmt". In vielen Fällen ist die Angst aber nicht durch diesen frommen Wunsch steuerbar, im Gegenteil verstärkt er das Problem, indem der Betroffene jetzt zur Angst auch noch einen inneren Kampf um die Macht über seine Angst führt. Aus einer Schwierigkeit entsteht damit ein Pseudoproblem. Am Ende steht die Vermeidung der Situation, womit das ursprüngliche Problem nicht gelöst und die Vermeidung zum Problem selbst wird.

Die Intervention muss bisherige Lösungsversuche unterbrechen und sich gegen die versuchte Lösung richten, nicht gegen die Schwierigkeit selbst. Anders formuliert: Nicht die Antwort ist falsch, sondern die Frage, der Teufelskreis von Problem - Lösungsversuch - Pseudoproblem - Pseudolösungsversuch usw. muss unterbrochen werden.
Im konkreten Fall des Angst-Teufelskreises wird die Verhaltensanweisung umgedreht: Anstatt die Angst möglichst zu verheimlichen (bisherige Lösung) lautet die Einführung der Gegenparadoxie "den Zuhörern von seiner Angst zu berichten" oder "vor Angst in Ohnmacht zu fallen". Die "Verschreibung" des an sich spontanes Verhaltens unterbricht das "Spiel" und macht die Spontaneität unmöglich.

Generell lautet die Intervention zur pragmatischen Auflösung eines Teufelskreises: Das Gegenteil des bisherigen oder erwarteten tun.

Lösungen 2. Ordnung haben folgende Faktoren gemeinsam:

  • sie werden angewendet wo Lösungen 1. Ordnung keine Lösung herbeiführen sondern selbst zum Problem werden
  • sie wirken auf den ersten Blick "unvernünftig", "unerwartet", "wider den gesunden Menschenverstand"
  • sie ignorieren das "warum" der Situation und richten sich ausschließlich auf das "was"
  • sie heben die Situation aus ihrem bisherigen Rahmen hinaus in einen neuen, weiteren Rahmen

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V Umdeuten

Grundlage der Möglichkeit zur Umdeutung ist die Lehre des Konstruktivismus. Eine "objektive" Wirklichkeit existiert nicht, sondern ausschließlich eine subjektive und individuelle Interpretation davon. Wir "erschaffen" uns unsere Wirklichkeit und vergessen dann, dass sie unsere eigene Schöpfung ist. "Wirklich" im allgemeinen Sinn ist das, was eine genügend große Zahl von Menschen als wirklich bezeichnet.

"Wirklichkeit" wird erschaffen durch Zuordnung von Objekten zu Klassen (Strukturierung). Klassen sind im Gegensatz zu Objekten aber reine Konstruktionen unseres Denkens. Die Schwierigkeit besteht darin, die einmal erfolgte Zuordnung eines Objekts zu einer Klasse nicht als unverrückbare "Wahrheit" anzusehen (manchmal auch "Glaubenssatz" genannt) , sondern als das Ergebnis individueller Entscheidungen und Umstände, die sich auch wieder ändern können. Damit kann eine Lösung 2. Ordnung darin bestehen, die ebenso gültige Zugehörigkeit des Objekts zu einer anderen Klasse hervorzuheben. Wer die Erfahrung dieser Möglichkeit der Umdeutung gemacht hat, ist dem typischen Gefühl der "Ausweglosigkeit" von nicht funktionierenden Lösungen 1. Ordnung weniger ausgeliefert.

Eine Umdeutung ersetzt den begrifflichen Rahmen, in dem etwas erlebt wird, durch einen anderen, der den "Tatsachen" mindestens ebenso gut gerecht wird (vgl. Reframing). Die konkreten Gegebenheiten einer Sachlage bleiben dabei unverändert, ihnen wird nur eine neue Bedeutung zugeschrieben.

Ein Beispiel für die einfachste Art der Umdeutung ist sicherlich das "halb leere Glas", das durch eine simple Änderung des Bezugspunktes zum "halb vollen Glas" und damit zum Motivator für ganze Berge von Positiv Denken-Literatur geworden ist.

Praktisch formuliert: Biete eine neue Definition der "Wirklichkeit" in den Begriffen des Betroffenen an und helfe ihm in diesen neuen Rahmen. Eine Lösung zweiter Ordnung kann z. B. dadurch eingeleitet werden, dass absichtlich eine besonders starke Konfusion herbeigeführt wird. In dem Bedürfnis, aus der Konfusion herauszukommen und einen neuen Sinnbezug zu entdecken, ist der Betroffene besonders bereit, sich an die nächste konkrete Information zu klammern, die er erhält.

Allgemeines Vorgehen zur Problemlösung:

  1. klare und konkrete Definiton des Problems
  2. Untersuchung der bisher versuchten Lösungen
  3. klare Definition des Ziels (der Lösung)
  4. Festlegung des Plans zur Herbeiführung der Lösung

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Bücher:

Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels

Spiele der Erwachsenen. Psychologie der menschlichen Beziehungen.

Wege aus der Zwickmühle. Doublebinds verstehen und lösen

Dienstag, 22. Januar 2008

Die Zukunft der IT-Jobs, Teil III

In Teil I und II des Artikels habe ich einige ausgewählte "Stoßrichtungen", denen Unternehmen momentan ausgesetzt sind, analysiert und aus den Ergebnissen negative Auswirkungen auf zwei exemplarisch ausgewählte Rollen geschlossen.

Wer sich wundert, dass der Fachkräftemangel in diesem Artikel bisher kaum angesprochen worden ist - auch in den nächsten 5-10 Jahren werden IT-Fachkräfte gesucht bleiben. Unterschiedliche Qualifikationen werden dabei aber auch unterschiedlich gefragt sein. Das globalere Wort "War for Talent" beschreibt es besser - um die besten Talente werden die Unternehmen "sich schlagen".

Bleibt die Frage, welche IT-Rollen der Gewinner der beschriebenen Entwicklung sein werden. Das ist sicher nicht pauschal zu beantworten à la "mach das und alles wird gut", sondern es geht um Tendenzen, die sich im Arbeitsmarkt langfristig niederschlagen werden.

Ich habe vier Rollen exemplarisch herausgegrausgegriffen, die aus meiner Sicht in den nächsten 5-10 Jahren stärker nachgefragt, dabei aber am Markt sehr wahrscheinlich nicht ausreichend angeboten werden:

IT Architect (-> Fokus Technologie)

  • "Übersetzungen" der Anforderungen auf zukunftsfähige IT-Architekturen

  • Einschätzung der "langfristigen Entwicklung" und Relevanz neuer Technologien und Paradigmen (z. B. SOA)

  • Auslagerung von Umsetzung ins Near- oder Offshoring

IT Specialist Consultant (-> Fokus Technologie)

  • berät Unternehmen umfassend zu Technologien wie z. B. CRM, ECM, SAP; ist auf diese Technologie fokussiert und spezialisiert

  • Know-How branchenübergreifend, strategisch (z. B. wann, wo, wie) und technisch (z. B. Installation, Konfiguration, Programmierung etc.)

  • akkumuliert systematisch Wissen & Erfahrung zu seinem Technologiefokus und praktischer Anwendung in Unternehmen

Business-Process-Analyst und -Engineer (-> Fokus Branche & Fachprozesse)

  • Fachprozesse "durchdringen" und Optimierungspotenzial durch IT identifizieren

  • umfassende Kenntnis über die Geschäftsprozesse der Kunden

  • Analysen komplexer Anforderungen und Zusammenhänge

Change Manager (-> Fokus Branche & Fachprozesse)

  • soziologische und psychologische Skills, Coaching-Kompetenz, interkulturelles Wissen

  • Kenntnis von Prozessen und Herausforderungen des Change Managements in großen Strukturen

  • Erfahrungen beim Rollout großer IT-Lösungen

Nochmal: Diese Aufstellung erhebt weder Anspruch auf Vollständigkeit noch ist sie eine Job- oder Vermögensgarantie. Man beachte aber, dass diese Themen zwei Dinge gemeinsam haben:

  1. Es sind keine "einfach" zu erlernenden Rollen, es wird eine komplexe Mixtur aus Wissen, "personal Skills" und Erfahrung benötigt.
  2. Die Rollen können nur teilweise, sehr schlecht oder gar nicht durch Near- oder Offshoring abgedeckt werden.

Fazit: Sowohl IT-Absolventen wie auch erfahrene IT-Profis sollten die persönliche IT-Qualifikationsentwicklung rechtzeitig selbst in die Hand nehmen und aktiv auf eine Rolle zuschneidern, die unter den gegebenen Entwicklungen in den nächsten 5-10 Jahren Nachfrage am Markt verspricht. Einige Beispiele habe ich oben genannt, die Suche nach weiteren Möglichkeiten bleibt dabei jedem selbst überlassen.

Montag, 21. Januar 2008

Die Zukunft der IT-Jobs, Teil II

Sinkende Tagessätze vs. Fachkräftemangel, Local- vs. Offshoring, Kosten vs. Leistung - im ersten Teil des Artikels habe ich bereits das zugrunde liegende Szenario skizziert. Um bei den genannten Entwicklungen mithalten zu können, sollte man die eigene Qualifikation als "Asset" betrachten und in die "richtigen", d. h. zukunftsträchtigen Bereiche investieren. Welche aber sind das?

Vor der Antwort sollte zunächst die richtige Frage stehen:

  • Wo in Unternehmen wird in den nächsten Jahren große Pain und Budget zur Beseitigung vorhanden sein?
  • Wo kann die IT darin echten Mehwert schaffen?
  • Welche Anforderungen müssen daher IT-Profis erfüllen?
  • Welches Leistungsprofil könnte sogar "quasi-Alleinstellungsmerkmal" sein?

Um der Antwort auf die Spur zu kommen, greife ich folgende Herausforderungen exemplarisch auf, vor denen deutsche Unternenehmen im Jahre 2008 aus meiner Sicht stehen:

  • Organizational Change: Faktoren wie schnellere Innovationszyklen, globaler Verdrängungswettbewerb etc. erfordern Umdenken und Umorganisation in Unternehmen (vgl. z. B. Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten)
  • IT Outsourcing: IT ist im Normalfall nicht Teil des Kernprozesses der Unternehmen. Die Ausrichtung auf Kernkompetenzen durch Bereinigung des Leistungsportfolios und Entfernen der Kostenblöcke, die nicht direkt zur Wertschöpfung beitragen, wird in den nächsten Jahren weitergehen.
  • Process-Reengineering: Das Heben von Potenzial durch Optimierung von Produktionsprozessen ist noch lange nicht abgeschlossen. Während die Kernbereiche zumindest der großen Unternehmen weitgehend seit den 90ern durchforstet sind, bleiben an den Randbereichen noch jede Menge Einsparpotenziale. (vgl. z. B. Prozessorganisation ist die IT-Herausforderung schlechthin)
  • Near- und Offshoring bleiben im Trend, werden aber immer mehr auf die Bereiche konzentriert, die einen "echten" Wertbeitrag (ohne versteckte Kosten durch Overhead) bieten können. Besonders in Osteuropa und China ist noch viel Potenzial, Osteuropa speziell wird durch Förderung und Kulturimport näher an den Westen rücken. (vgl. z. B. Erhöhte Akzeptanz für globale Liefermodelle)

Diese Faktoren stellen wie gesagt nur eine Auswahl dar, sie umreißen aber meiner Ansicht nach eine eindeutige Tendenz. Auf dieser Basis lässt sich im ersten Schritt leicht definieren, welche IT-Rollen langfristig voraussichtlich Nachteile in Kauf nehmen müssen:

  • Rein technisch fokussierte Programmierer, die sich hartnäckig weigern, den Sinn ihrer Existenz im Bedarf der wertschöpfenden Fachprozesse zu sehen und sich nicht den Anforderungen an Unternehmen (siehe oben z. B. das Stichwort "organizational change" oder "process reengineering") anpassen.
  • Programmierer ohne besondere Spezialisierung oder Spezialisierungen, die langfristig nicht mehr gefragt sind => Angebot wird größer (sowohl in Deutschland wie auch im Offshoring), günstigere Talente drängen auf den Markt, Tagessätze werden fallen.

Die Zeiten der "Selbstverwirklichung" als "Tekkie mit Scheuklappen" gehen zu Ende, auch wenn der beschworene Fachkräftemangel den einen oder anderen noch in Sicherheit wiegt. Was und wer keinen bezifferbaren Mehrwert für ein Unternehmen bringt, wird gegenüber dem, der seinen Mehrwert verargumentieren kann, verlieren.

Bleibt noch die offene Frage - wer wird gewinnen? Im dritten Teil des Artikels werden konkrete Rollen beispielhaft vorgestellt, die von den genannten Veränderungen profitieren dürften.

Mittwoch, 16. Januar 2008

Die Zukunft der IT-Jobs, Teil I

Wer sich jetzt als Student der Informatik oder Wirtschaftsinformatik damit abfindet, mit seinen Programmier-Kenntnissen in den nächsten 10 Jahren gefragt zu bleiben, unterschätzt den sehr dynamischen Wandel der Anforderungen an IT-Profis. Zurzeit ist zwar nicht offensichtlich, dass Programmierleistungen in Deutschland viel zu teuer sind, weil der Markt insgesamt zu eng ist und ein Nachfrageüberhang nach IT-Profis dominiert. Das wird sich ändern, sobald die Nachfrage sich wieder auf ein normales Maß entspannt.

In den letzten 6 Jahren meiner Tätigkeit in der IT-Consultingbranche ist mir dieser Trend sehr deutlich aufgefallen. Das mag daran liegen, dass Kunden ganz besonders den Bedarf über Consulting decken, den sie mit ihrem eigenen Personal nicht befriedigen können. Die Tagessätze, so das geflügelte Wort der IT-Dienstleister seit Jahren, sind unter Druck, die Unternehmen müssen sparen etc. Wie passt das aber mit dem immensen Bedarf an Fachkräften und den überproportional steigenden IT-Gehältern zusammen? Ganz einfach: Große Pain -> großer Lösungsbedarf -> wenig Leute mit Spezialkenntnissen -> hohe Tagessätze.

Daher gibt es für IT-Dienstleister heute zwei Reaktionsmöglichkeiten, wenn sie nicht vom Markt gedrängt werden wollen: Zum einen Anpassung der Qualifikation ihrer Mitarbeiter, zum anderen Anpassung der Kostenstruktur. Die geringsten Personalkosten werden im Rahmen des Near- oder Offshorings erreicht. Aber auch hier hängt der Himmel nicht einfach voller Geigen, denn nicht jedes Projekt eignet sich für diese Kostensparmaßnahme - jeder der schon mal als Projektleiter internationale Projekte koordiniert hat weiß das. Verständigungsprobleme sind dabei nur der zuerst offensichtliche Teil, dazu in einem anderen Artikel mehr.

Fakt bleibt: Ein rumänischer Programmierer kostet zurzeit ca. 1/4 - 1/3 eines deutschen. Die Tendenz ist zwar steigend, trotzdem wird es noch eine Zeit lang sehr günstig sein, Programmierleistungen nach Rumänien oder anderswo in den Ostblock auszulagern.

Aber nicht nur Nearshoring ist ein Thema, um die Kosten zu drücken - immer mehr qualifizierte Programmierer drängen auf den Markt, die diese Qualifikation nicht über ein langes Studium, sondern z. B. im Rahmen einer Ausbildung erlernt haben. Selbstverständlich wird für die Betriebsunterstützung einer Software kein "full-fledged" IT-Berater zu immensen Kosten eingesetzt, die benötigten Fähigkeiten sind günstiger zu haben.

Die Schere zwischen geringen Qualifikationsanforderungen, die durch Nearshoring oder Auszubildende etc. abgedeckt werden können, und sehr hohen Anforderungen, die auch deutlich über Programmier-IT hinausgehen, geht daher immer weiter auseinander.

Was unternimmt also ein gut ausgebildeter (Wirtschafts-)Informatiker, um nicht unter die Räder zu geraten? Wenn man sich selbst als Unternehmen sieht, das eine Leistung zu verkaufen hat (nämlich die eigene, eine Tatsache die nicht nur auf Freiberufler zutrifft), kann man natürlich seine Kosten anpassen - darauf gehe ich nicht weiter ein, weil die Kunst nicht ist, sich unter Wert zu verkaufen. Im nächsten Teil des Artikels möchte ich vorstellen, in welche Richtung die IT sich aus meiner Sicht entwickeln wird, und welche Konsequenzen sich für das Rollenverständnis der IT-Spezialisten ergeben müssen.

Bedeutung von Klarheit und Alignment im Projektmanagement

Jeder Projektleiter braucht ohne Frage den wohlbekannten Dreiklang aus fachlicher, Methoden- und Sozialkompetenz. Diese Themen füllen bergeweise Projektmanagement-Literatur, und ich bezweifle, dass es dazu noch deutlich mehr zu sagen gibt.

Für mich existieren neben dieser Fülle von Wissen und Kompetenzen, die erfolgreiche Projektleiter mitbringen müssen, einige wenige Punkte, die gute (im Sinn von erfolgreiche) Projektleiter von anderen unterscheiden. Diese Projektleiter haben Folgendes verstanden:

Ein Projekt ist wie ein Maßanzug, der Projektleiter ist der Schneider. Manches kann er messen, manches sagt ihm der Kunde dazu, manches muss er beim Kunden erfragen, und über manches muss er einfach Annahmen treffen. Wenn der Kunde den Anzug anzieht, wird er entscheiden, ob der Projektleiter ihn richtig verstanden und alles richtig umgesetzt hat.

Alignment bedeutet das gegenseitige Erfüllen von Erwartungen und ist kritisch für den Projekterfolg. Immer wenn das Alignment zwischen Kunde und Auftragnehmer (damit ist auch das Auftragnehmer-Team gemeint) nachlässt, gibt es ein Gap zwischen Erwartung und Erfüllung von der einen oder anderen Seite. Das Herstellen von Alignment unterscheidet erfolgreiche von nicht erfolgreichen Projektleitern.

=> Der Projektleiter muss dafür sorgen, das Alignment mit allen Stakeholdern (z. B. auch Team und Vertrieb) und insbesondere dem direkten Kunden sicher zu stellen.

Klarheit ist die Grundlage von Alignment und damit jedes erfolgreichen Projekts. Solange alle Beteiligten Klarheit über Auftrag und Ergebnisse haben, bleibt als Risiko nur die unerwartete Unerfüllbarkeit von Anforderungen. Fehlende Klarheit ist eine der Hauptursachen für scheiternde Projekte - spätestens am Ende ausgedrückt in einem "plötzlich" klaffenden Alignment-Leck und damit dem Misserfolg des Projekts. Um das zu verhindern, besteht der Projektleiter darauf, dass größtmögliche Klarheit zu Beginn des Projekts geschaffen wird, während alle anderen aufgrund enger Termine etc. sofort loslegen wollen.

=> Der Projektleiter ist dafür verantwortlich, dass Klarheit über den Auftrag (ausgedrückt in Zielen, Inhalten, Erwartungen etc.) besteht. Er darf niemals hoffen, dass sich eine Unklarheit von selbst auflöst, denn er ist der einzige, der sie auflösen wird.

Erwartungen sind Anforderungen im weitesten Sinn - funktional und nicht-funktional, Time / Budget / Quality, Kommunikation und Reporting, Umgang miteinander usw.

=> Der Projektleiter ist dafür verantwortlich, Erwartungen aller Stakeholder abzuklären (Klarheit!) und das Projekt so auszurichten, dass Erwartungen erfüllt werden (Alignment).

Es liegt in der Verantwortung des Projektleiters, diese Faktoren als zentrale Aufgabe zu betrachten. Kann der Projektleiter wichtige Erwartungen nicht erfüllen, Klarheit über wichtige Aspekte und damit Alignment nicht herstellen, muss das Projekt gestoppt und eskaliert werden!


Aus diesen Basis-Forderungen habe ich das folgende grundsätzliche Vorgehen zur Umsetzung von Alignment in die Projektmanagement-Praxis entwickelt. Es gilt im Prinzip für die Übernahme jeder nicht-trivialen Aufgabe:

  1. Aufgabe / Verantwortung wird zugewiesen
  2. Ziel-Alignment mit dem Auftraggeber herstellen - was muss am Ende rauskommen damit Auftrag erfüllt
  3. Strukturieren
    - Endergebnis Aufteilen in Teilergebnisse und Meilensteine.
    - Aufgaben und Ergebnisse innerhalb der Meilensteine definieren.
    - Prio, Datum, Verantwortlichkeiten für jede Aufgabe zuweisen.
    - Risiken definieren.
  4. Alignment aller Beteiligten ("Stakeholder") auf das Ziel und den Weg dorthin ("Kick-Off"). Wichtig: Klarheit! Alles ansprechen, aufschreiben, entscheiden. Keine Unklarheiten, Unsicherheiten, "Hoffnungen" übrig lassen.
  5. Ständige Kontrolle der Ergebnisse UND des Alignments aller Beteiligten (z. B. Zwischen-Ergebnisse abnehmen lassen). Bei Abweichungen nicht zögern - alle an einen Tisch und Entscheidung über weiteres Vorgehen.

Fazit: Ich erhebe nicht den Anspruch, mit meinen Forderungen an das Management von Projekten völlig neue Aspekte des Themas aufzuwerfen. Sehr wohl behaupte ich aber, dass bei der Untersuchung gescheiterter Projekte häufig Versäumnisse des Projektmanagements zu Tage treten, die nicht selten auf gesammelte Versäumnisse beim Alignment und der Klarheit zurück zu führen sind (aus welchem Grund dies auch immer geschah).

Das Bewusstmachen der Wichtigkeit dieser grundlegenden Aspekte kann helfen, Projektergebnisse zu verbessern.