Eric Berne begann seine Laufbahn als Psychotherapeut basierend auf der damals dominierenden psychoanalytischen Lehre von Sigmund Freud. Während seiner Arbeit stellte er fest, dass die Diagnose psycho-pathologischer Probleme und die "vorgeschriebene" Korrektur der Patienten durch den Psychotherapeuten stillschweigend voraussetzte, dass der Therapeut "richtig" dachte und handelte, während der Patient "krank" war und daher Gedanken und Handlungen korrigiert werden mussten. Das griff ihm zu kurz, er fing daher an, seine Intuition zu benutzen, um sich in die Menschen, die er behandelte, hineinzuversetzen. Er beobachtete die Menschen und entdeckte verschiedene menschliche "Ich-Zustände" und die Bedeutung von Streicheleinheiten, Zeitvertreib, Spielen. Aus diesen Erkenntnissen erwuchs die viel beachtete Transaktionsanalyse, als deren Begründer Berne heute gilt.
In seinem 1964 unter dem Titel "Games People Play" erschienenen Buch zeigt Berne auf manchmal amüsante aber immer fundierte Weise, dass wir alle mehr oder minder häufig Spiele miteinander spielen. Der Unterschied zwischen Kinder- und Erwachsenen besteht dabei nur in der Art und regeln der Spiele. Ein Spiel besteht nach Berne aus einer fortlaufenden Folge verdeckter sogenannter Komplementär-Transaktionen (eine Transaktion ist die Grundeinheit einer sozialen Verbindung), die zu einem voraussagbaren Ergebnis führen. Die Transaktionen wiederholen sich und sind dabei äußerlich scheinbar plausibel (oberflächliche Transaktion), werden in Wahrheit aber von verborgenen Motiven beherrscht (verdeckte Transaktion).
Wie kommt es, dass erwachsene Menschen forlaufend "Spielchen miteinander spielen"? Der Grund lässt sich zurückverfolgen auf physische und psychische Bedürfnisse, die bereits als Kleinkind vorhanden sind. Kinder, die über einen längeren Zeitraum keine Zuwendung erhalten, verkümmern physisch und psychisch an "Reiz-Hunger". Da physische Zuwendungen während des Erwachsenwerdens seltener werden, wandelt sich der physische Hunger nach "Streicheleinheiten" in einen "Hunger nach Anerkennung" und später in einen "Struktur-Hunger", in dem sich das Bedürfnis nach Vermeidung von Langeweile ausdrückt. Wie wichtig dieser Hunger nach Struktur und Anerkennung werden kann, zeigt sich besonders schnell, wenn vorher als gegeben angesehene Strukturen verloren gehen, z. B. durch plötzliche Arbeitslosigkeit.
Durch die Erziehung der Eltern lernt ein Kind, welche Spiele es spielen und wie es sie spielen soll. Das Ausmaß, in dem es sich in Verfahren, Ritualen und Zeitvertreib auskennt, und die Geschicklichkeit im Umgang damit, haben entscheidenden Einfluss darauf, welche Möglichkeiten sich ihm in Zukunft erschließen werden und wie es diese Möglichkeiten nutzen wird. Sobald sich feste Reiz-Reaktionsmuster etabliert haben, verlieren sich die Ursprünge, aber der "Kindheits-Prototyp" für ein Spiel des Erwachsenen lässt sich zurückverfolgen.
Rituale bestehen aus einer stereotypen Folge von einfachen Komplementär-Transaktionen, die durch äußere Sozialfaktoren programmiert worden sind. Typisches Beispiel sind ritualisierte Begrüßungsregeln, die meist nicht dazu bestimmt sind, wertvolle Informationen zu vermitteln, sondern dem Gegenüber die Streicheleinheiten (das ist nicht ironisch gemeint!) zukommen zu lassen die er verdient, ausgedrückt in der Anzahl der wechselseitigen Dialoge. Jedes Abweichen von der akzeptierten Norm wird als "merkwürdig" empfunden - bekommt man plötzlich mehr oder weniger Aufmerksamkeit als man erwartet, "stimmt etwas nicht". Das einfachste und sicherste Mittel, zum "komischen Kauz" zu werden, besteht darin, grußlos an guten Freunden vorüberzugehen und Unbekannte zu mit überschwänglicher Aufmerksamkeit zu willkommen zu heißen.
Ausgehend von Höflichkeits- und Kennenlern-Riten entstehen allmählich verschiedenene individuelle "Episoden", die sich an oberflächlich unsichtbaren Strukturen orientieren. Spiele sind Episodenfolgen, die auf individueller Programmierung basieren, und ein Großteil der Sozialaktivität besteht darin, bestimmte Spiele zu spielen. Ein Spiel ist dabei nicht nur als Vergnügen zu verstehen, es kann bitterernst sein und wird trotzdem von der Gesellschaft toleriert, solange die Regeln beachtet werden. Der Nutzeffekt eines Spiels besteht in der stabilisierenden Funktion, die es für die Beziehung und die Menschen hat.
Berne beobachtete in Psychotherapiegruppen Veränderungen in der Verhaltensstruktur und ihren Beziehungen zur Gemütslage und seelischen Verfassung. Aus den Ergebnissen schloss er, dass jedem Individuum eine begrenzte Anzahl "psychologischer Realitäten" zur Verfügung stehen, die er als
- "Eltern-Ich" (übernommen von den Ich-Zuständen seiner Eltern, automatische Reaktion "Das macht man so!" spart enorm Zeit),
- "Erwachsenen-Ich" (objektive Informationsübermittlung, Analytik, Nutzung der Überlebenschancen) und
- "Kind-Ich" (fixierte Relikte aus der Kindheit, Quell von Intuition, Kreativität, spontaner Antriebskraft und Freude)
bezeichnete. Komplementäre Transaktionen finden statt, wenn A aus dem Eltern-Ich das Kind-Ich von B anspricht und B aus dem Kind-Ich antwortet, z. B. "Na klasse, schon wieder hast du deinen Schlüssel verlegt!" - "Na und, dafür hast du gestern den Herd angelassen!"
Kommunikation wird unterbrochen wenn es zu einer Überkreuz-Transaktion kommt, wenn also eine Ansprache aus dem Erwachsenen-Ich ("Findest du deinen Schlüssel nicht?") aus dem Kind-Ich beantwortet wird ("Jetzt habe ich also wieder die Schuld, ja?"), hier müssen sich die Vektoren erst wieder abstimmen, bevor weiter kommuniziert werden kann.
Komplexer sind die verdeckten Transaktionen (Komplementär-Transaktion aus dem Erwachsenen-Ich auf der Sozial-Ebene, psychologische Kommunikation zwischen anderen Ebenen (z. B. auf der Kind-Ich-Ebene bei einem Flirt, der oberflächlich ein sachliches Gespräch darstellt), die Ausgangspunkt und wesentliche Voraussetzung für Spiele sind.
Das Mitspielen laufender Spiele ist eine wesentliche Voraussetzung zur Anerkennung und Aufnahme in bestehende Gruppen. Das kann sehr leicht auf gesellschaftlichen Zusammenkünften wie Partys beobachtet werden - wer sich einer Gruppe anschließen möchte, muss zuerst das dort laufende Spiel verstehen und zeigen, dass er ein würdiger Teilnehmer ist, bevor er ein neues Spiel beginnen darf. Auf diese Weise erfolgt ebenfalls die Selektion von Bekanntschaften - wer die passenden Spiele spielt, "passt zu mir".
Die "Antithese" zu einem Spiel besteht zum einen darin, sich der Rolle darin zu verweigern. Allerdings darf man dafür nicht mit Verständnis rechnen - da selbst die "Verlierer" ihre Stabilität aus ihrer Rolle im Spiel ziehen können, ist eine allseitige starke Gegenreaktion (z. B. sofortiger demonstrativer Ausschluss aus einem Gruppengespräch) wahrscheinlich. Eine noch stärkere Intervention bewirkt ein Verhalten, das der Erwartung an einer Rolle genau entgegengesetzt verläuft (vgl. hierzu Lösungen).
Berne führt im Buch ein "Spiel-Brevier" mit einer umfangreichen Spiele-Auflistung aus, auf das hier nicht weiter eingangen werden soll. Ein Beispiel ist das auf der Doppelbindung basierende Spiel "Zwickmühle", das Eltern mit ihren Kindern "spielen", indem sie sie auf der einen Seite dazu anhalten, alle möglichen Dinge im Haushalt zu übernehmen, und dann fortgesetzt an jeder Handlung und jedem Ergebnis etwas auszusetzen haben. Aus diesem Spiel gibt es keinen offensichtlichen Ausweg - tut das Kind wie ihm geheißen, ist es falsch, tut es das nicht, auch. Das Spiel-Brevier nennt zum Abschluss auch einige positive Spiele - positiv deshalb, weil beide Transaktionspartner vom Spiel profitieren und kein "Verlierer" dabei entsteht; z. B. bei einem erwünschten Flirt, den beide genießen.
Das Spiel-Brevier ist für mich der einzige Anlass zur Kritik am Buch. Die Situationen scheinen allesamt aus Bernes privater und klinischer Erfahrung zu stammen, für eine "vollständige" Auflistung und Kategorisierung wären wohl weitere Studien und Meinungen notwendig.
Doch wie sieht der Ausweg aus dem endlosen Kreislauf von Spielen und festgefahrenen Reiz-Reaktions-Mustern aus? Sind wird bis zu unserem Tod in unseren Spielen gefangen, schlicht um unser Leben möglichst im Gleichgewicht zu behalten? Es gibt laut Berne einen alternativen Weg: Bewusstheit als Gegensatz zu systematischem Verhalten, Spontaneität als Gegenpol zur Programmierung der Vergangenheit, und "Intimerlebnisse" (verstanden als echte Zuneigung und Austausch mit Menschen ohne verdeckte Absichten) als Gegenpol zu Spielen.
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Buchtipp:
Spiele der Erwachsenen